"Polaroid als Geste – über die Gebrauchsweisen einer fotografischen Praxis"

Symposium in Kooperation mit dem Museum für Photografie, am 26 / 27 März 2004 in der „Die Brücke“.
Kulturinstitut „Die Brücke“
Steintorwall 3
0531 / 4704861
Freitag 12.00-17.30 Symposium in der Brücke,
ab 18.00 Empfang im Photomuseum
Samstag 10.00-16.30 Symposium in der Brücke

Parallel zu den im Museum für Photographie gezeigten Polaroid-Arbeiten Andy Warhols und im Vorgriff auf die Ausstellung zeitgenössischer Positionen in 2005 will das Symposium die unterschiedlichen Praktiken des Umgangs mit der Medientechnik Polaroid (verstanden als Handlung, die geprägt ist von unterschiedlichen Interessen der Aneignung von Bild und Realität) diskutieren.

In diesem Sinne unterscheidet sich der künstlerische Zugriff, als fotografische Praxis der Bildfindung, von der populären Handhabung des Mediums als private Dokumentation und provozierte Inszenierung. Die Schnittstelle der beiden Zugangsweisen zur Polaroid-Fotografie bildet die Handlungsform – die ‚Geste Polaroid’ – mit der jeder Prozess der Bildproduktion unmittelbar auf den/die Produzenten/in selbst verweist und die Momenthaftigkeit der Bildentstehung betont. Der Gebrauch von Polaroid-Fotografie steht für eine Form der Aneignung und des Produzierens von 'Realitäten’ – einer Geste der Inbesitznahme von Wirklichkeit.

Die Wahrnehmung des Mediums bestimmen seine Lesart als flüchtigen, spontanen und experimentellen’ Schnappschuss im Alltag. Die typische Bildästhetik (Format, Rahmung, Oberfläche) des Polaroids hebt beispielsweise diese Form der Fotografie auch als künstlerischen Zugriff von jenen Arbeiten ab, die auf die großformatige Präsenz und Bildschärfe des Mediums setzen. Ebenso betont diese Materialität auch im Alltagsgebrauch das `Dokumentarische´ und `Echtzeitliche` des technischen Bildprodukts. Wie schreibt sich die 'Materialität’ des Sofortbildes in seine Wahrnehmung ein? Wie konstruiert sich der spezielle Charme des Polaroidbildes, sein Wegwerfcharakter, seine Intimität? Inwieweit verwirklicht das Polaroid den 'Traum’ der Fotografie das technische Bild im Moment seines Entstehens bereits zur Verfügung zu haben?
Was folglich bestimmt die Geste Polaroid als Handlungsform und in welchen sozialen/künstlerischen Kontexten kommt sie zum Einsatz? Lässt sich der kulturelle Rahmen dieser Praxis exemplarisch (Populärkultur, Alltagsgebrauch, Dokumentationsform) oder in historischen Referenzen bestimmen? Welche Ideologien setzen diese Bildproduktionen im aktuellen Diskurs um digitale Technologien frei?

Weiterhin geht es um Formen der Rezeption: die Konstitution von Öffentlichkeit und Privatheit, die Qualität der Aneignung und Präsentation in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten (Familienalbum, Galerie, Zeitschrift, Internet). Inwieweit lässt sich ein identifizierendes Moment mit der Geste der Bildherstellung verbinden, die etwas über den gesellschaftlichen und sozialen Wandel – der mit der populären Nutzung dieser Art von Wirklichkeitsaneignung zu verbinden wäre – aussagt?

Welche Formen der Rezeption und welche Bildproduktionen des Polaroid sind benennbar ( das 'geknipste’ Sofortbild, das juristikable Beweisfoto, das dokumentierende medizinische Bild, das disziplinierende Passfoto, uvm.)

Referentinnen und Referenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden unter diesem Fokus die Bewertungskriterien und Einordnungsversuche diskutieren, die es im Hinblick auf das Medium des (Sofort-)Bildes aus kulturwissenschaftlicher und kunsthistorischer Perspektive gibt.


Teilnehmer/innen
Andreas Spiegl (M.A. Kunstgeschichte), Wien
arbeitet als Kunst-und Kulturtheoretiker an der Akademie der Künste Wien, Institut für Gegenwartskunst, gemeinsam mit Christian Teckert „Büro für Kognitiven Urbanismus“.

Abstract: Die Reproduzierbarkeit des Hier und Jetzt

Walter Benjamin hat in seinem Text über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit die These in den Raum gestellt, dass mit der Reproduzierbarkeit eines Werks seine Einmaligkeit und damit das Hier und Jetzt als historische Figur verloren geht. Dieser Prozess, den Benjamin mit der Fotografie und dem Film assoziiert – mit Medien, die in ihrem Kern auf Reproduzierbarkeit hin angelegt sind, erfährt durch das polaroide Sofortbild und dessen Einmaligkeit eine Wendung: das verschwunden geglaubte Original ist wieder da und markiert ein Hier und Jetzt – eine Aura, die weniger dem Bild selbst zu gelten scheint, sondern dem Augenblick der Aufnahme. Die Bildqualität liegt weniger im polaroiden Bild als in dem Wissen um den Bildstatus der Realität. Das Polaroid erzeugt in diesem Sinne ein Abbild von einem Bild. Es bestätigt nur, dass die zum Bild gewordene Realität kein Abbild einer Realität meint, weil die Realität schon das originale Bild darstellt. Was hier erscheint, ist eine Ontologie des Bildes, ein Bildbegriff, der der Realität vorauseilt, damit sich diese im Bild aktualisieren kann. Der Blick auf das polaroide Abbild des Weltbildes bestätigt dem Auge nur, was es vorher schon wusste: den imaginären Kern des Realen. So paradox das klingen mag: Mit dem Polaroid hat sich ein Bildbegriff etabliert, der im Bild weniger das Auge und die Sichtbarkeit adressiert als die Wahrnehmung der imaginären Natur der Realität – ein unsichtbares Bild. Dessen Sichtbarkeit bestätigt nur den Vorstellungscharakter des Realen. Aus dieser Perspektive liefert das Sofortbild eine Art »postproduction« für die Realität des ganz privaten Weltbildes.

Jan Verwoert (M.A. Kulturwissenschaft), Hamburg
Jan Verwoert, geb. 1972, studierte Kulturwissenschaften und Philosophie in Hildesheim und London, lebt und arbeitet in Hamburg als freier Autor u.a. für frieze, springerin, afterall, metropolis m und camera austria. Er ist Gastprofessor für zeitgenössische Kunst und Theorie an der Kunstakademie von Umeå (Schweden), 'Sputnik'(Berater) des Kunstvereins München und Herausgeber der Anthologie 'Die Ich-Ressource - Zur Kultur der Selbstverwertung' (Volk Verlag, München 2003).

Abstract: Das Drama der Nachträglichen Bildentwicklung

These ist, dass der entscheidende Reiz bei der Fotografie - auch beim Polaroid - nicht der sofortige Weltzugriff ist, sondern vielmehr die Unsicherheit, dass man im Moment der Aufnahme nie genau weiß, was letzten Endes auf dem entwickelten Bild ist - dass also so eine Art Aufschub im Zugriff auf die Wirklichkeit entsteht, der letztlich das 'Drama' der Bildentwicklung ausmacht. Beim Polaroid (und auch bei der Digitalkamera mit Display) schrumpft dieser Abstand zwischen Aufnahme und Ansicht des entwickelten Bildes zwar auf wenige Sekunden. Der Effekt ist aber der, dass das Drama der nachträglichen Bildentwicklung nur noch um so mehr in den Mittelpunkt der fotografischen Operation rückt - in dem Moment, wo sich alle um das aus der Kamera ausgespuckte Stück Papier drängen und beobachten, wie das Bild darauf langsam Gestalt annimmt - um zu sehen, wie es geworden ist. Mich interessiert dieses Drama der zeitlichen Verschiebung und das, was man daraus an kulturtheoretischen Implikationenableiten könnte.

Ruth Horak (M.A. Kunstgeschichte), Wien
Kunsthistorikerin und Kuratorin; seit 2002 Arbeit am Projekt „Rethinking Photography“ (Ausstellungen, Vorträge, Symposien, Publikationen); seit 2000 Lehrauftrag an der Schule für Künstlerische Fotografie Wien; zahlreiche Ausstellungen mit Schwerpunkt zeitgenössische Fotografie
Abstract: Extreme des Sofortbildes in der Kunst
Künstler neigen dazu, die Möglichkeiten der Medien, die sie verwenden, auszuschöpfen: um daraus ihre eigenen Bildformate zu entwickeln und die Grenzen zum populären Gebrauch dieser Medien klar zu ziehen. Anhand einiger aktueller künstlerischer Beispiele möchte ich solche Extreme des Sofortbildes vorstellen bzw. deren Anliegen, die eine Verwendung des Polaroidverfahrens nahe gelegt haben. Das heißt, jene Seite des Polaroidverfahrens vorzustellen, wo das Polaroid zu einem durchaus aufwändigen künstlerischen Verfahren wird, entgegen der "Schnellschuss"-Vorstellungen, die man gemein hin vom Polaroid hat.Daniel Gethmann (Dr.phil.), Graz / Bochum
Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz, div. Publikationen zu medienhistorischen und medientechnischen Themen.

Abstract: Das Prinzip Polaroid

Die Entwicklungsgeschichte des Polaroid-Sofortbildverfahrens beginnt nicht erst mit der Vorstellung des ersten funktionsfähigen Systems vor der Optical Society von Amerika am 21. Februar 1947 oder dem Beginn der Entwicklungsarbeit in den 40er Jahren. Sie ist vielmehr eng mit der Erfinderbiographie des Firmengründers Edwin H. Land verbunden, der sich erst spät der Photographie zuwandte. Vorher entwickelte er ein Verfahren zur Herstellung großflächiger Polarisationsfolien als Filter des Lichts und viele weitere Erfindungen zur Wahrnehmungslenkung, deren eigentlicher Durchbruch in der Militärtechnologie des Zweiten Weltkriegs stattfand. Diese Entwicklungsgeschichte bis zur „absoluten“ Sofortbildtechnologie, wie das SX-70 Sofortbildkamerasystem aus dem Jahre 1972 in der Firmenwerbung genannt wurde, wird im Vortrag unter dem Aspekt thematisiert, inwiefern die wesentlichen Polaroid-Produkte (Polarisationsfolien, Sofortbildkameras und weitere optische Erfindungen) ein eigenes Prinzip Polaroid erkennen lassen.

Winfried Pauleit (Dr. phil.), Bremen
Kunst- und Filmwissenschaftler, Professur für Kunstwissenschaft / Kunstpädagogik an der Uni Bremen. Herausgeber von www.nachdemfilm.de
Abstract: Christopher Nolans Film: Memento (2000), (Vortrag mit Filmausschnitten)
Siegfried Kracauer hat in seinem Aufsatz „Die Photographie“ das Verhältnis von Fotografie und Gedächtnis untersucht: „Die Photographie erfasst das Gegebene als ein räumliches (oder zeitliches) Kontinuum, die Gedächtnisbilder bewahren es, insofern es etwas meint. Da das Gemeinte in dem nur-räumlichen Zusammenhang so wenig aufgeht wie in dem nur-zeitlichen, stehen sie windschief zur photographischen Wiedergabe.“
Was passiert nun, wenn man die Gedächtnisbilder eines Menschen durch Fotografien ersetzt?
Christopher Nolan erzählt in Memento die Geschichte einer solchen Ersetzung. Der Protagonist Leonard versucht einen partiellen Gedächtnisverlust mit Hilfe von Polaroid-Notizen auszugleichen. Dies führt nicht nur in eine fragmentierte Welt, die von einem Schwindel, einer radikalen Sinnlosigkeit bedroht ist, weil die Geschichte und die Biographie ständig abhanden zu kommen droht. Es führt auch in die Freiheiten eines Spiels, in dem offensichtliche Fakten und Begebenheiten einer ständigen Re-Lektüre und Umdeutung unterzogen werden können.

Maren Polte (M.A. Kunstgeschichte), Berlin
geb. 1969, Studium der Kunstgeschichte, Philosophie, Literaturwissenschaft und Pädagogik in Kiel und Köln. Seit 1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschung und Veröffentlichungen zur zeitgenössischen Kunst und Fotografie; Promotionsprojekt: Schauplätze. Stadt Bild Erzählung. Fotografien der "Becher-Schüler"

Abstract: Taschenspielertricks – Skizzen eines flüchtigen Fotoautomaten

Ausgangspunkt ist die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, kurz BfA. Sie wurde 1998 zum Thema einer im FAZ-Magazin erschienen Reportage, begleitet von Fotografien von Stephan Erfurt. Allesamt Polaroids, die in bezug auf die gestellte Aufgabe hinsichtlich ihrer Entstehung und Materialität analysiert werden, um dieses angeblich paritätisch zu privaten und wissenschaftlichen Zwecken genutzte Medium auf seine Reportagetauglichkeit hin zu untersuchen.


Künstlerische Präsentationen durch

Jan Wenzel, Künstler, Leipzig
Publizist und Fotograf. Geboren 1972 in Bautzen, studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Leipzig und Turin. Seit 1991 fotografische Arbeit mit Passbild-Automaten, Ausstellungsbeteiligungen u.a. Museum Ludwig Köln, 2000. Museet for Fotokunst Odense, 2000. Mitherausgeber der Zeitschrift >spector cut+paste<. Mitinitiator des Rechercheprojektes >1990ff<.

Abstract: JETZT hoch vier

Der Snapshot. Eine Art Polaroid vom geistigen Zustand, im Augenblick. Natürlich geht es auch darum, was drauf ist, auf dem Bild. Aber ebenso sehr um die ART der Bildherstellung, das Vorgehen bei der Produktion, die Methode, was ganz Formales also. Sich erinnern, nicht an früher, sondern an JETZT.“ (Rainald Goetz)
Passbildstreifen sind, seitdem ich 1990 in Bautzen das erste Mal in einer Automatenkabine saß, ein Fotoverfahren, was mich sehr fasziniert. In eigenen Arbeiten habe ich in den letzten Jahren den Fotoautomaten und das von ihm vorgegebene Raum- und Zeitformat benutzt, um alltäglich wirkende Raumtableaus zu inszenieren. Der Vortrag wird meine künstlerische Praxis vorstellen, sein Schwerpunkt soll dabei auf den verschiedenen Zeitdimensionen meines Umgangs mit diesem Sofortbildverfahren liegen: Der Fotoautomat interessiert mich als Medium um eine Transformationserfahrung zu artikulieren: das >plötzliche Zerfallen< eines Dinguniversums und dessen Rekonstruktion im Bild. Der Akt des Fotografierens ähnelt dabei der Arbeitsweise eines Bricoleurs - aus einem Fundus von Dingen steht mir nur das zur Verfügung, was ich gerade zur Hand habe. Der Zeittakt des Automaten führt dazu, dass die Veränderungen von Bild zu Bild möglichst einfach sein müssen, denn auch so bringt jede Wiederholung der Abfolge unterschiedliche Ergebnisse. Aus mehreren, nebeneinander gelegten Fotostreifen entsteht letztlich ein imaginärer Raum, aufgenommen in einer Kabine, in der während des Fotografierens nach einer vorher eingeübten Choreografie eine Anzahl Veränderungen vorgenommen wurden.

Stefanie Schneider, Kunstlerin,
www.instantdreams.net



(c) 2003 Rolf F. Nohr

 

 

 

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