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Ein bestimmtes Cluster von Bildern, oder exakter: Visualisierungsstrategien, macht aktuell auf sich aufmerksam. Fraktale, gewundenen DNS-Stränge, multispektrale Satellitenbilder, PET-Scans oder anatomische Schnittbilder sind integraler Teil eines visuellen populären Diskurses geworden. Diese genuinen Laborbilder im Sinne wissenschaftlicher Simulationen oder Modellationen entfalten in der medialen Öffentlichkeit eine bedeutungsproduktive Argumentationskraft, deren Spezifika sich das Projekt Nützliche Bilder annehmen will.

Von Interesse ist dabei weniger, welche Bedeutungsverschiebungen in der Diffusion von Labor zur populären Zirkulation der Bilder auftreten. Vielmehr möchte das Projekt den Schwerpunkt seiner Reflexion auf die Bedeutungsentfaltung dieses Bilderkanons in der populären Kultur richten. Diese Bewegung innerhalb eines Bedeutungsrahmens ist allerdings kein genuin aktuelles Phänomen. Der Diskurs der ›Laborbilder‹ in öffentlicher Zirkulation ist historisch verankert und in seiner normativen und funktionalen Struktur beispielsweise innerhalb der Wissens-Macht-Relation Teil eines Diskurses.

Als aktuelle Ebene kann im weitesten Sinne die Qualität des Digitalen (nicht nur im ›bildnerischen‹, sondern vielmehr im epistemologischen Sinne) benannt werden. Dadurch präzisiert sich aber auch der Kernbereich eines Nachdenkens über Nützliche Bilder, nämlich die Inhärenz des Wissensbegriffes in Veränderung innerhalb der verschiedenen Formen der Visualität. Als verkürzende These kann formuliert werden, dass Laborbilder in die populäre Kultur transformieren und dort in einer spezifischen Weise Evidenz entfalten und dezidierte Formen des ›Wissens‹ generieren.
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Das Projekt Nützliche Bilder versteht sich als eine Reflexion aktueller visueller Phänomene im Kontext der Produktion von Wissen, Bedeutung und Evidenz in Bezug auf die Diffusion wissenschaftlicher Bilder in die populäre Bilderzirkulation. Dabei kann sich das Projekt auf mehrere Felder der (vor allem medientheoretischen und kulturwissenschaftlichen) Reflexion stützen. Mit dem Forschungsgebiet der Visual Culture ergibt sich für das Projekt eine erste maßgebliche Konturierung und Verankerung. Visual Culture kann als eine Denkungsweise verstanden werden, die Genealogie, Definition und Funktion der aktuellen Gesellschaft zu analysieren.

Die Diskussion im Feld einer visuellen Kultur kann dabei nicht als institutionelle Praxis oder als disziplinäres Argumentierenverstanden werden (im Sinne einer kunstwissenschaftlichen Debatte oder einer Konturierung einer Bildmedienwissenschaft), sondern als eine Auseinandersetzung mit dem ›Visuellen‹ im Alltagsleben. Der Begriff der Visual Culture ließe sich somit umfassen als ein interdisziplinäres Auseinandersetzen mit dem Sehen und der Genese von Evidenz als Praxisform jenseits einer rein subjektverhafteten oder apparativ-technisch orientierten Fokussierung.

Jenseits des eher kulturwissenschaftlichen Argumentierens der Visual Culture bieten sich selbstverständlich auch andere bildwissenschaftliche Herangehensweisen an das Feld der Nützlichen Bilder an. Vor allem die Kunstwissenschaft (maßgeblich eine jüngere Kunstwissenschaft ›nach‹ dem pictorial turn) bietet hierfür interessante Ansatzpunkte.

Den theoretisch am dezidiertesten auf das Projekt der Nützlichen Bilder anwendbaren theoretischen Ansatz bietet sicherlich die kritische Diskursanalyse und die Kollektivsymbolforschung. In diesem Kontext werden Bildlichkeiten, die an Alltagswissen anknüpfen und von verschiedensten Sprechern benutzt werden, als Kollektivsymbole auf ihre normalisierenden Funktionalitäten untersucht. Dabei ist der Kanon der Kollektivsymbole im weitesten Sinne darstellbar als ein Auseinanderfallen in eine Bildebene sowie eine Ebene des ›eigentlich‹ Gemeinten, eben des Sinns.

Die Kollektivsymbolanalyse betont somit die Darstellbarkeit eines Systems von visuellen Diskurspartikeln innerhalb eines metaphorischen Rasters und untersucht darin vor allem die normalisierende Kraft eines solchen Bilderkanons.

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Der Repräsentationsbegriff ist insofern im Projekt Nützliche Bilder von Wichtigkeit, als der Status des einzelnen Bildobjekts innerhalb eines Systems der Zirkulation und Oszillation im populären Bereich dennoch eine Beschäftigung mit dem genuinen und singulären Bildobjekt bedarf: dieses nicht in einem Verständnis einer aus sich selbst heraus erklärbare Objektkonstellation, aber im Sinne eines referentiellen Bezuges zwischen Objekt, Bildobjekt, Rezipient und (intertextuellem) Kontextsystem.

Wesentlicher Fokus soll dabei sein, Repräsentation vor allem als innewohnende Potentialität eines variablen Bildbegriffes zu verstehen und gerade in der Variabilität einen pragmatischen Ansatz zum Verständnis einer Repräsentationsordnung zu bestimmen. Um den Schwierigkeiten einer abgrenzenden und definitorischen Diskussion aus dem Wege zu gehen,

ist es somit denkbar, den umgekehrten Weg zu wählen, nämlich einen pragmatischen Begriff der Repräsentation aus dem Material selbst abzuleiten: unter Rückgriff auf eine philosophische Repräsentations- bzw. Bildtheorie als Fundierung, die als Grundannahme zunächst und vor allem die Konstruktivität und die Unabgeschlossenheit von Repräsentationen betont.

So bleibt die Ebene des (stark ontologisch gedachten) Objektbezuges in ihrer Bindung an die Rezeption durch ein Bedeutung produzierendes Subjekt weitestgehend unterreflektiert. Ein Bildsystem ist dabei aber kein gebrauchsunabhängig existierendes Gebilde, es ist vielmehr ein System in Gebrauch (und dabei auch einem zeitlichen Wandel unterworfen). Diese Gebrauchsfunktion lenkt aber auch die Bedeutung auf das Verständnis des Rezeptions- und Aneignungsprozesses von Bildern und lässt die Herstellungsgeschichte in den Hintergrund treten.

Im weitesten Sinne möchte sich das Projekt der Nützlichen Bilder in seiner pragmatischen Orientierung des Repräsentationsbegriffs ausrichten. So verstanden ist Repräsentation der fundamentale Prozess, in dem Bedeutung und Sprache zu Kultur werden. Die Argumentation des Projekts basiert dann im auf der Ansicht, dass Bedeutung, Meinung und Ausdruck erst im Wechselspiel zwischen personalem Ausdruck, gesellschaftlichen Werthaltungen und sprachlichem Ausdruck aktuell konstruiert werden.

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»Das Wissen ist eine Voraussetzung für die Diskursivierung des Wissens, welches wiederum eine Voraussetzung bildet für die Entstehung und Veränderung von Wissen.«
Eggo Müller / Hans J. Wulff - Aktiv ist gut: Anmerkungen zu einigen empirischen Verkürzungen der British Cultural Studies.


Die vorgebliche ›Tautologie‹ der gegenseitigen Bedingtheit von Wissen und Diskurs lässt sich noch am ehesten durch die historische Fundierung der beständigen Austausch- und Zirkulationsbewegungen auflösen, aber eben auch durch die Anerkennung der sozialen Praktik als Handeln im Wechselverhältnis von Diskurs und Wissen.

Als Konsequenz muss die Vernachlässigung des ›Bildobjekts‹ Nützliches Bild zugunsten seiner diskursiven Eingebundenheit in eine Sehkultur zur Diskussion gestellt werden. Nur als Repräsentation wird das Bild uns über seinen Gebrauch zugänglich. Nicht das ‘reale’ Merkmal des Objekts ist Ziel der Analyse, sondern die Bedeutungspoduktion in der Interaktion differenter und klassifizierender (Sprach-) Kategorien, die in ihrem internen Zusammenspiel erst äußere Realität oder Wahrnehmung evozieren.

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Sichtbarkeit als eine Strategie (und im Rahmen des Projektes Nützliche Bilder unmittelbar angelehnt an den Begriff der Evidenz) kann als eine zentrale Organisationsform des Machtdispositives verstanden werden. In einer darauf orientierten Lesweise Foucaults kann angenommen werden, dass eine Art ›positives Unterbewusstes‹ des Sehens existieren muss, welches nicht bestimmt, was gesehen wird, sondern was gesehen werden kann. Das Episteme und das Machtdispositiv sind in diesem Verständnis die Kategorien der Evidenzerzeugung. Dass also der Sinngehalt eines Nützlichen Bildes sich entfalten kann, eben evident und sichtbar werden kann, verdankt sich – so verstanden – der Interrelation zwischen Sehweise, Denkweise und materieller Praktik (welche sich dann noch in räumliche Organisationen und technische Apparate differenzieren ließe).

So konstituiert sich aber eben nicht nur ein genereller Diskurs des Sichtbaren, sondern auch und vor allem das Subjekt selbst innerhalb dieser Strukturen. Identität, Selbstverortung und subjektives Handeln im Diskurs ist immer eingebunden in das Netzwerk der Sichtbarmachung. Ein Objekt wird also von einem Subjekt nicht nur einfach gesehen; das Objekt wird dem Subjekt durch einen Diskurs evident gemacht.

Hier wird deutlich, wie sich die dargelegten theoretischen Konzeptionen von Repräsentationsbegriff und Sichtbarkeit als Evidenz zu einem Beschreibungsfeld der Wirkungsweisen und bedeutungsproduktiven Momente der Nützlichen Bilder zusammenführen lassen.

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Nützliche Bilder sind Repräsentationen und Evidenzien von Wissen innerhalb eines gesellschaftlichen Diskurssystems. So kann ein Argumentieren im Zusammenhang der Visual Culture anhand der Nützlichen Bilder als eine Investigation des Wissensdiskurses unter der Prämisse einer Frage nach dem Sichtbaren und Sichtbar-gemachten verstanden werden. Das Objekt, das Ereignis oder die Wissenskonfiguration ist nicht grundsätzlich visuell. Eine visuelle Kultur (als Zustandsbeschreibung) lässt sich dadurch definieren, dass sie die Kategorien der Objekthaftigkeit, der Ereignishaftigkeit oder des Wissens bevorzugt mit der Kategorie des Sichtbaren verknüpft. Dies könnte somit als wesentliche Praxis der Herstellung von Evidenz benannt und analysiert werden.

Bilder agieren in diesem Zusammenhang dann (polemisch reduziert) als »Evidenzmaschinen« und »Kommunikationsbeschleuniger« (Tom Holert).
Im gleichen Maße, wie von einer Konjunktur der Evidenz gesprochen werden kann, muss aber meines Dafürhaltens auch von einer Krise der Evidenztheorie gesprochen werden. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt und bei einem Stand der wissenschaftlichen Diskussion, an dem eine der drängenden medientheoretischen wie alltagsrelevanten Fragen die ist, wie Aussagepraktiken ihre »Sagbarkeit und Sichtbarkeit« produzieren, organisieren oder manufakturieren.

In der Nachfolge vieldiskutierter ›digitaler Revolutionen‹, diverser (piktoraler, visueller, linguistischer) turns, dem Verlust stabiler Referenzvereinbarungen, ›aufständischer‹ Zeichen, Simulakren und Technobilder befinden sich Formen der symbolischen Aufschreibung in der Krise.

Dem folgend scheinen etablierte Aussagepraktiken und selbst institutionalisierte Theorien mit Re- und Neukonstitutionen der Funktionalität symbolischer Prozesse beschäftigt. Im Kern dieser Auseinandersetzung steht unter anderem die Frage, wie Sprache, Text und Bild ihren ›Objektbezug‹ herstellen, ihre Unmittelbarkeit gewährleisten und sich selbst ihrer Plausibilität versichern.

In einer solchen Situation befassen sich verschiedenste Disziplinen und Theorien mit Verfahren, Praktiken und Prozessen der Herstellung von Augenscheinlichkeit, Beweiskraft, Zeugenschaft oder kurz – Evidenz.

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Rolf F. Nohr (Hg.)
„Evidenz - »...das sieht man doch!«“

»Sieh hin ...das sieht man doch!« scheint einer der Imperative einer visuellen Kultur zu sein. Das Evidenten, also das »Offenkundige« (wie es der Duden übersetzt) oder »Augenscheinliche«, bildet einen der Ordnungsraster des Wissens. Evidenz scheint einer der Medienfunktionalismen zu sein, die die Sprechweise populärer, aktueller und diskursiv organisierter Mediensysteme gewährleistet. Aber wie überhaupt wird Wissen zu Bild? Aus welchem metaphorischen, symbolischen oder diskursiven System artikuliert sich ein Bild und wie wird es als Sprechweise kommunikabel und damit zur Handlung? Ist das Evidente eine Form der Wissensartikulation? Inwieweit überformt sich die visuelle Tatsache zum bildlichen Beweis? Was ist der Wahrheitsbegriff des Bildes?

288 S., 19.90 EUR, br., ISBN 3-8258-7801-5

Aus dem Inhalt:  
Tom Holert Smoking Gun. Über den ›forensic turn‹ der Weltpolitik
Ralf Adelmann Computeranimation als televisuelle Evidenzproduktion
Rolf F. Nohr Medien(a)nomalien. Viren, Schläfer, Infiltrationen
Ulrike Bergermann Schöner wissen. Selbsttechniken vom Panorama zum Science Center
Daniel Gethmann Innere Scheinbilder. Von der Ästhetik der Elektrizität zur Bild-Konzeption der Erkenntnis
Vinzenz Hediger Schnell noch einen Film vor dem Aussterben. Die zeitliche Konfiguration von Evidenz in Tierfilmen
Eva Hohenberger DocumAnimals. Das dokumentierte Tier in Film und Fernsehen
Herbert Schwaab Sehen und Erleiden. Die Natürlichkeit des Wahrnehmens am Beispiel der Familienserie SEVENTH HEAVEN
Heike Klippel Erinnerung, Evidenz und Kino
Leander Scholz Narziss, Luhmann und das Spiegelstadium

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(c) 2003 Rolf F. Nohr

 


Visuelle Kultur
Repräsentationsbegriff
Wissensdiskurse
Sichtbarkeit
Evidenz
Veröffentlichung

Ausführliches Projektexposé