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Die Berührungspunkte von Selbstfotografierautomaten und der Entwicklung des Polaroidverfahrens sind nahe liegend – nicht nur auf der Ebene der technischen Kompatibilität. Der eigentliche Berührungspunkt ist sicherlich die Euphorie des Gegenwärtigen, die Idee des Echtzeitlichen und gleichzeitig Zeitfixierenden, der ambivalente "Abdruck des Realen", die dem Polaroid innewohnen und die sich in der technisch-apparativen Manifestation der Passbildkabine vollständig umsetzen. Und auch die Gebrauchsweisen und Praktiken, die am Polaroid verhandelt werden, das Heraustreten aus der Professionalität und der fotografische Emanzipationsentwurf, manifestieren sich auf eine eigene Weise im Fotofix wie auch im Polaroid. Im Folgenden sollen mögliche Ansätze einer wissenschaftlichen Betrachtung von Polaroid und Fotofix angedeutet werden.
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Sowohl die spezifische Materialität des Polaroidbildes wie auch der technische Bildgebungsvorgang selbst unterscheiden sich genuin von den apparativen Setzungen der Fotografie im künstlerischen wie privaten Sinne.
Der Einmaligkeits-Charakter des Bildes einerseits (sowohl im privaten Sinne der ›Echtheit des Augenblicks‹ wie auch im künstlerisch-galeristischen Sinne des Unikatsgedankens), wie auch der spezifische Aufnahmeprozess (inklusive des kurzen Zeitfensters der haptischen Manipulierbarkeit des Bildes) stellen eine spezifische ›maschinelle‹ Anmutung her.

Ein denkbarer Zugriff auf eine ›technische Umfassung‹ des Maschinensystems Polaroid bildet unter anderem die Frage nach der Naturalisierung (oder Nichtnaturalisierung) des Mediensystems. Im Gegensatz beispielsweise zum Dispositiv des Kinos ist die apparative Anordnung des Polaroids nicht unsichtbar: weder im Amateurgerät noch in den Fotofixkabinen oder dem ›Schnelldokumentierer‹ professionellen Gebrauchs.
Polaroid scheint nicht in dem Sinne transparent zu sein, wie andere Medientechniken – und stellt somit im Diskurs des Fotografischen eine besondere (Diskurs-) Formation dar.
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Die technische Ausdifferenzierung des Apparatesystems und der kulturellen Gebrauchsform Fotografie ist beschreibbar als von Anbeginn an durch den Subdiskurs der Selbstfotografier-Automaten begleitet. Von besonderem Interesse erscheint hier aber weniger die genaue technisch-apparative Ausdifferenzierung des Systems (wobei natürlich hierbei die ›technische Vorwegnahme‹ des Polaroidverfahrens bzw. aktuell digitaler Bildgebungsverfahren vom Interesse ist), sondern vielmehr fotografiegeschichtliche Diskursspuren innerhalb dieser bedeutungsproduktiven und bildgebenden Anordnung.

Viele für die theoretische Beschäftigung mit der Fotografie relevante Gebrauchsmuster und Anordnungskonstellationen schlagen sich z.B. in der Geschichte des Selbstfotografierers nieder, andere Muster scheinen genuin an diese spezielle Bildgebungsform gekoppelt zu sein. Andererseits setzt die Fotofix-Kabine als Anordnung einen spezifisch eigenen Impuls im Feld der technischen Bildgebung und -erzeugung: eine Abschottung aus dem öffentlichen Raum im Herzen des öffentlichen Raumes (Bahnhof, Kaufhaus, Meldestelle), die Konfrontation mit dem eigenen Bild im Moment des Fotografiert-werdens (der Spiegel in der Kabine), etc.
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Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde am 26. und 27. März 2004 im Kulturinstitut „Die Brücke“ ein Symposium in Kooperation mit dem Museum für Photografie durchgeführt: »Polaroid als Geste – über die Gebrauchsweisen einer fotografischen Praxis«
Parallel zu den im Museum für Photographie gezeigten Polaroid-Arbeiten Andy Warhols und im Vorgriff auf die Ausstellung zeitgenössischer Positionen in 2005 ergründete das Symposium die unterschiedlichen Praktiken des Umgangs mit der Medientechnik Polaroid. Im Zentrum der Diskussion stand neben dem künstlerischen Zugriff, als fotografische Praxis der Bildfindung, auch die populäre Handhabung des Mediums als private Dokumentation und provozierte Inszenierung.

Aus dem CfP von Meike Kröncke und Rolf F. Nohr:
Die Schnittstelle der beiden Zugangsweisen zur Polaroid-Fotografie bildet die Handlungsform – die ›Geste Polaroid‹ – mit der jeder Prozess der Bildproduktion unmittelbar auf den/die Produzenten/in selbst verweist und die Momenthaftigkeit der Bildentstehung betont. Der Gebrauch von Polaroid-Fotografie steht für eine Form der Aneignung und des Produzierens von ›Realitäten‹ – einer Geste der Inbesitznahme von Wirklichkeit. Die Wahrnehmung des Mediums bestimmen seine Lesart als flüchtigen, spontanen und experimentellen Schnappschuss im Alltag.
Die typische Bildästhetik (Format, Rahmung, Oberfläche) des Polaroids hebt beispielsweise diese Form der Fotografie auch als künstlerischen Zugriff von jenen Arbeiten ab, die auf die großformatige Präsenz und Bildschärfe des Mediums setzen. Ebenso betont diese Materialität auch im Alltagsgebrauch das ›Dokumentarische‹ und ›Echtzeitliche‹ des technischen Bildprodukts. Wie schreibt sich die ›Materialität‹ des Sofortbildes in seine Wahrnehmung ein? Wie konstruiert sich der spezielle Charme des Polaroidbildes, sein Wegwerfcharakter, seine Intimität? Inwieweit verwirklicht das Polaroid den 'Traum’ der Fotografie das technische Bild im Moment seines Entstehens bereits zur Verfügung zu haben?

Teilnehmer/innen waren:
Andreas Spiegl, Wien: Die Reproduzierbarkeit des Hier und Jetzt
Jan Verwoert, Hamburg; Das Drama der Nachträglichen Bildentwicklung
Ruth Horak, Wien: Extreme des Sofortbildes in der Kunst
Daniel Gethmann, Graz / Bochum; Das Prinzip Polaroid
Winfried Pauleit, Bremen: Christopher Nolans Film Memento (2000)
Maren Polte, Berlin: Taschenspielertricks – Skizzen eines flüchtigen Fotoautomaten
Jan Wenzel, Leipzig: JETZT hoch vier
Stefanie Schneider, Berlin: www.instantdreams.net
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Polaroid als Geste –
über die Gebrauchsweisen einer fotografischen Praxis
hrsg. von Meike Kröncke, Barbara Lauterbach und Rolf F. Nohr
HATJE CANTZ, 2005
ISBN 3-7757-1619-X

Unter dem Titel ›Polaroid als Geste‹ vereinen vereinen sich in der vorliegenden Publikation ein interdisziplinäres Symposium, organisiert an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, und eine Ausstellungsreihe zum Thema Polaroid am Museum für Photographie in Braunschweig. Die hier versammelten Texte und künstlerischen Positionen stehen für die aktuellen Wahrnehmungen des Sofortbildes und seine Bedeutung in der zeitgenössischen Fotografie. Darüber hinaus stellen sie jedoch einen Versuch dar, diesen Diskurs neu zu bestimmen.

Der gemeinsame Titel ›Polaroid als Geste – über die Gebrauchsweisen einer fotografischen Praxis‹ steht dabei programmatisch für die vielfältigen
Einsatzmöglichkeiten des Sofortbildes im populären und im künstlerischen Kontext. Weiterdenken lässt sich diese Verwendung des ›instantanen Bildes‹ in die Zukunft – die Digitalisierung der Fotografie und ihre rasante Verbreitung konkurriert jedoch kaum
wirklich mit der Ästhetik des Polaroids. Die Geste ist beim Fotografieren mit Polaroid in einem doppelten Sinne zu verstehen: zum einen als individuelle Aneignung durch den Benutzer oder die Benutzerin und zum anderen als ein Verfahren der Bildtechnologie
selbst, als ›innere Logik‹ des Bildes. Die vorliegende Publikation geht dem Phänomen der Bildherstellung nach und zeigt, inwieweit sich das Selbstverständnis in der künstlerischen Praxis verändert hat und wo – im Gegensatz zum populären Gebrauch – Verfremdung,
Dokumentation und Inszenierung bewusst kalkuliert sind.

Ganz im Sinne eines Experiments wird mit dem Buch ›Polaroid als Geste‹ versucht, die Ausführungen des im März 2004 abgehaltenen Symposiums neben die künstlerischen Positionen zeitgenössischer Polaroidarbeiten zu stellen. Ausdrücklich nicht aufeinander bezogen ergibt sich aus der Parallelsetzung der künstlerischen und theoretischen Positionen eine produktive Assoziationskette um instantane Bilder, ›Gesten‹ und Gebrauchsweisen des Fotografischen.

Beiträge und künstlerische Positionen von:
Anna und Bernhard Blume \ Inge Dick \ Herbert Döring-Spengler \ Daniel und Geo Fuchs \ Daniel Gethmann \ Isabel Heimerdinger \ Ruth Horak \ Miriam Jung \ Meike Kröncke \ \Jürgen Kuschnik \ Barbara Lauterbach \ Thomas Leuner \ Rolf F. Nohr \ Manfred Paul \ \ Winfried Pauleit \ Maren Polte \ Joachim Richau \ Dieter Roth \ Stefanie Schneider \ Maria Sewcz \ Hans von Trotha \ Jan Verwoert \ Saskia Wendland \ Jan Wenzel \ Erwin Wurm \ Robert Zahornicky

Rezensionen zum Band:
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(c) 2003 Rolf F. Nohr

 


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